Kritik: Der blutige Pfad Gottes 2 (The Boondock Saints 2 – All Saints Day)

Es gibt Fortsetzungen, an deren Existenz hat man selbst nicht mehr geglaubt. Als 2000 Troy Duffies Erstlingswerk „The Boondock Saints“ nach etlichen Querelen mit Miramax und der unendlichen Suche nach einem Verleih endlich in die Kinos und auf DVD zu unzähligen Filmfans nach Hause schwabbte, ließen der herrliche Wortwitz, das superb übertriebene Spiel von Willem Dafoe als gleichermaßen genialen wie exzentrisch schwulen FBI-Ermittler, sowie die moralisch fragwürdige, aber dennoch sympathisch erzählte Geschichte diesen Indie-Flick alsbald zu einem Kultfilm aufsteigen. Von da an wurde eine Fortsetzung immer wieder angekündigt, die Dreharbeiten mangels Geld jedoch immer weiter verschoben, so dass eigentlich kaum noch jemand daran glaubte, überhaupt jemals eine Wiederkehr der MacManus-Brüder zu sehen. Einige für Fans sicherlich tragische Mitteilungen (u.a., dass Willem Dafoe nicht im zweiten Teil mitspielen sollte) später, steht nun der zweiten Teil in den Startlöchern.

Die Geschichte ist relativ schnell erzählt: die MacManus-Brüder haben sich zusammen mit ihrem Vater nach Irland ins Exil zurück gezogen und leben dort ganz pazifistisch als Hüter ein Schafherde auf einer einsamen Cottage mitten im Nirgendwo. Tja, blöd nur, dass das Verbrechen in Boston trotz Eliminierung des Ober-Paten in Teil 1 indes keine Pause macht und ihr geliebter Pater von einem Killer dahin gemeuchelt wird. Das alles wäre schon ein Grund, um die schallgedämpften Pistolen wieder auszupacken, doch um unsere mittlerweile langhaarigen Pazifisten-Schafhirten so richtig aus der Reserve zu locken, gleicht das Profil der Hinrichtung genau deren früherer Vorgehensweise. Es dauert dann auch nicht mehr lange und Conner und Murphy machen sich auf den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, um den Tod ihres Paters zu rächen. Das alles wirkt nicht besonders originell, ist aber, grob betrachtet, fast das einzige Storyelement, welches Duffy nicht von seinem Vorgänger recycelt. Der eigentliche Rachefeldzug erinnert nämlich stark an den ersten Teil, ohne jedoch – um es gleich vorweg zu nehmen – an dessen Güte heran zu kommen.

Nur um zu zeigen, welche Erzählstrukturen und Storyelemente sich fast 1:1 mit dem ersten Teil decken, hier eine kleine stichwortartige Aufzählung:

  1. Die MacManus-Brüder bekommen wieder die Unterstützung eines liebevollen Trottels. Erneut passt ihnen seine Art und Weise des Supports nicht so richtig, aber weil er ja so lieb und trottelig ist, darf er bleiben.
  2. Der exzentrische Bulle aus dem ersten Teil ist dieses Mal eine Frau. Julie Benz versucht zwar ihrem Charakter etwas Eigenständigkeit zu geben, kann aber gegen das grandios übertriebene Spiel Willem Dafoes aus dem ersten Teil nicht ankommen.
  3. Die üblichen Polizeiermittler sind genauso trottelig wie im ersten Teil und sind praktischerweise genau ident zu diesen besetzt. Da ist es eigentlich schon überflüssig zu erwähnen, dass diese unserem irisch-mexikanischen Rächerteam irgendwann unter die Arme greifen.
  4. Die Kontrahenten in Form eines Mafia-Syndikats, dessen Oberhaupt praktischerweise mit dem im ersten Teil hingerichteten Paten verwandt ist, sind auch nicht besonders helle und fürchten sich eigentlich mehr vor den MacManus-Brüdern, als sich diese vor ihnen.

Ja, dem ersten Eindruck nach, hat Duffy einfach den Drehbuchgenerator Pro™ auf „Fortsetzung im bekannten Rahmen, Fans sollen nicht erschreckt werden“ gestellt und ungefähr 12 Stunden lang die Random-Taste gedrückt, bis etwas passables dabei herausgekommen ist. Hinter der Oberfläche der Handlung existiert jedoch noch ein zweiter Handlungsstrang, welcher sich ausschließlich mit der Vergangenheit des Vaters der MacManus-Brüder beschäftigt. Dieser im ersten Teil noch zweideutig „Il Duce“ (der Führer) getauft ist nämlich schlicht und ergreifend niemand anders, als der  legitime Vorgänger seiner beiden Söhne. Merke: schon vor fünfzig Jahren richtete die Mafia Unschuldige hin und auch schon damals gab es  wutentbrannte Jünglinge, die sich so etwas nicht bieten lassen wollten. Dumm nur, dass Papa-MacManus von seinem einstigen Weggefährten und Assistenten irgendwann verraten wird.

An diesem Punkt scheitert der Film jedoch. Während sich Duffy nämlich verzweifelt daran versucht, dem Rachefeldzug seiner beiden Hauptcharaktere dieselbe Coolness und Originalität des Vorgängers zu verpassen, entwickelt sich die wirklich interessante Geschichte  in Form weniger Rückblenden im Hintergrund. Dumm nur, dass eben diese kaum zur actionbetonten Fassade passen mag:

Conners und Murphys Motivation besteht primär daraus, einen alten Freund zu rächen. Allein das Motiv der Beiden gestaltet sich damit schon weit weniger mitreißend als noch im ersten Teil, wo die beiden die Vergewaltigung eines kleinen Kindes vergelten wollten. Dazu kommt noch, dass ihr Feldzug gegen das schreckliche Mafia-Syndikat extrem monoton vonstattengeht. Die Brüder stehen nie vor wirklichen Herausforderungen. Das liegt primär daran, dass der Charme, den sie im ersten Teil als Killer-Novizen noch versprühten, im zweiten Teil nicht mehr greifen kann und mag. Nach einer Aufwärmübung, bei dem die nicht vorhandenen Gabelstapler-Fahrkünste ihres ungewollten Compagnons die geplante Ausradierung eines Drogennestes zu einer Farce verkommen lassen, laufen die übrigen Attentate weder besonders originell inszeniert noch erfrischend naiv und unbedarft ab. Hier vergisst es Duffy, wie im Vorgänger, aus bekannten Action-Filmen zu zitieren. Was der Primärhandlung dann aber den Rest gibt, ist die Tatsache, dass Sean Patrick Flanery und  Norman Reedus zwar ihren Charakteren durchaus sympathische Züge verleihen, sie aber nicht zu unverwechselbaren Originalen formen können. Hier konnte der erste Teil auf das Talent Willem Dafoes setzen, welcher dem Film seinen eigentlichen Hauptdarsteller lieferte, Julien Benz hingegen ist dazu im zweiten Teil leider kaum in der Lage. Ob dies am engen Korsett ihrer Rolle oder ihren Vermögen als Schauspielerin liegt, mag ich an dieser Stelle nicht beurteilen.

Was bleibt ist die Sekundärhandlung. Diese kann jedoch nicht als witzig inszenierter Rachefeldzug zweier sympathischer Aushilfskiller erzählt werden, da sie auf einer viel persönlicheren Ebene spielt. Während Conner und Murphy ihrer aufgestaute Wut und ihre Trauer direkt und unmittelbar durch die Auslöschung des kompletten Mafia-Syndikats mindern können, kämpft ihr Vater mit einem Jahrzehnte zurückliegendem Verrat. Für ihn geht es nicht nur darum, den Tod eines Freundes zu rächen, für ihn ist es viel wichtiger, seinem Verräter ein letztes Mal gegenüber zu stehen.

Das Finale des Films, bei dem alle vier Rächer das Haus eben dieses Verräters infiltrieren, kann dann auch nicht mehr die originelle Leichtigkeit und Spritzigkeit des Vorgängers aufnehmen. Das Duffy sich spätestens hier vom Versuch, den Wortwitz und die Coolness des ersten Teils wieder aufleben zu lassen, verabschiedet, zeigt eindeutig, dass „The Boondock Saints 2“ als klassische Rächer-Story viel besser funktioniert hätte. Unterm Strich schafft der Film den Spagat zwischen actionbetonter und auf maximalen Coolness-Faktor getrimmter Primärhandlung und sehr intimer und ruhigerer Sekundärhandlung einfach nicht. So ist „The Boondock Saints 2“ schlussendlich nur für ein paar witzige Anekdoten und ein paar neue Erkenntnisse über die Geschichte der MacManus-Brüder gut. Der naive Charme des Vorgängers wird leider an keiner Stelle des Films mehr erreicht. Die erste große Filmenttäuschung in diesem Jahr (nicht nur) für mich.

Hundstage

Hundstage 02Regisseur Ulrich Seidl mag keine Menschen, oder zumindest mag er die menschliche Vorstellung einer heilen Vorstadtidylle nicht.  „Hundstage“ beweißt diese Anti-Haltung mit eindringlichen Bildern, schroffen Geschichten und einer ordentlichen Portion Misanthropie.

Hundstage bezeichnet die heißeste Zeit im Jahr vom 23. Juli bis zum 23. August. Diese Hitze macht Menschen zu immobilen Gegenständen, die auf ihren Terrassen und Vorgärten in ihrer Passivität dahin vegetieren. Sie bringt jedoch auch Aggression, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Einsamkeit zum Vorschein. Während der Hundstage mutiert das idyllisch anmutende Vorstandleben zu einem Mikrokosmos beherrscht von Missgunst, Gewalt und Perspektivlosigkeit.

Seidl erzählt in seinem Film, der eher einem dokumentarischen Drama gleicht, sechs Kurzgeschichten unterschiedlicher Personen. Er demaskiert dabei provokant das Bild einer heilen Vorstadtwelt mit ihren Moralvorstellungen geprägt von Nachbarschaftsliebe und Hilfsbereitschaft. Das Symbol der Hitze, sowohl als Grund für die Aggressivität als auch als Index der Aggressivität verwendet, gestaltet dabei den Unterton des Films. Anders als z.B. in Werbespots suggeriert sorgt der Sommer und die damit verbundene Hitze nicht fröhliche Gesichter, lange Sommernächte und neue, aussichtsreiche Beziehungen, in „Hundstage“ steht die Hitze für heruntergelassene Jalousien, verschlossene Türen und zurückgezogene, im kühlen Schatten lebende Menschen.

Die Kulisse des Films ist geprägt von Grautönen und wirkt schroff und unpersönlich. Anstatt malerischer Kulissen wählt Seidl die Panoramen moderner Discounter-Ansammlungen, symmetrisch angeordneter Neubausiedlungen, zuasphaltierter Parkplätze und monoton angeordneter Reihenhaussiedlungen. Der Mensch wirkt darin mehr als dahinsiechendes Objekt, denn als aktiver Gestalter seiner Umgebung. Die Häuser verkommen zu Gefängniszellen, in denen die menschliche Existenz auf das reduziert wird, was sie in ihrer primitivsten Form darstellt: Fressen, Ficken, Feiern.

Hundstage 01

Die Einzelschicksale seiner Protagonisten stellt Seidl dabei immer als ausweglos und doch geradezu von diesen erwünscht dar. Sei es nun das junge Mädchen, was sich von ihrem brutalen Freund nicht losreißen mag, oder der einsamen Lehrerin, die sich von ihrem Mann sexuell belästigen und körperlich einschüchtern lässt. Keiner dieser Personen scheint mit seiner aktuellen Situation glücklich zu sein, jedoch ist niemand von Ihnen in der Lage aus ihr zu entfliehen. Die Hitze wird auch hier wiederum als Symbol der Unterdrückung eingesetzt. Versetzt sie einige Menschen doch in eine unkontrollierbare Rage, aus der sie selbst keinen Ausweg mehr findet, während sie anderen zu passiven und wehrlosen Teilnehmern degradiert.

Zum Ende des Films beginnt es dann zu regnen. Dieser Regen scheint die angestaute Aggression, die zugespitzten Konflikte und die Ausweglosigkeit ihrer Protagonisten abzumildern. Trotzdem erlaubt Seidl keine Euphorie. Für ihn stellt der Regen nur eine kurze Unterbrechung eines Zustands dar. Eines Zustands eben, der nicht lösbar scheint.

Dieser Beitrag ist übrigens die Eröffnung zu einer kleinen Serie über den aktuellen deutschsprachigen Film hier auf Texturmatsch. Meiner Meinung nach werden gerade kleinere Filme in Deutschland viel zu selten erwähnt und das obwohl sie abseits von Mainstream-Ware wie „Barfuß“ durchaus ein interessantes, erwachsenes und facettenreiches Bild der deutschsprachigen Kinolandschaft zeigen. Bleibt also dran.